VLK-Hessen-Vorstand und -Beirat beraten Auswirkungen des Koalitionsvertrages der neuen Bundesregierung auf die Kommunen
VLK-Hessen-Vorstand und -Beirat tagten in Fernwald
Auf ihrer Sitzung am Mittwoch, den 28. 10. 2009 in Fernwald-Steinbach waren die Auswirkungen des 124seitigen Koalitionsvertrages der neuen schwarz-gelben Bundesregierung auf die Kommunen das Hauptthema.
Gewerbesteuer und Grunderwerbssteuer
Seiten 3 und 4:
Um schnell und effektiv Wachstumshemmnisse zu beseitigen, werden wir unverzüglich mit einem Sofortprogramm zum 1. Januar 2010 beginnen. Die Verlust- und Zinsabzugsbeschränkungen sowohl für international aufgestellte Konzerne als auch für mittelständische Unternehmen werden entschärft. Zu diesem Zweck werden wir:
[…]
bei den gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen
• den Hinzurechnungssatz bei den Immobilienmieten von 65 % auf 50 % reduzieren (alle übrigen Fragen werden in die Kommission »Gemeindefinanzen« einbezogen),bei der Grunderwerbsteuer
• die Umstrukturierung von Unternehmen durch eine Konzernklausel erleichtern,
Ersatz für Gewerbesteuer
Seite 6:
Wir werden eine Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen zur Neuordnung der Gemeindefinanzierung einsetzen. Diese soll auch den Ersatz der Gewerbesteuer durch einen höheren Anteil an der Umsatzsteuer und einen kommunalen Zuschlag auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer mit eigenem Hebesatz prüfen.
Angesichts des gegenwärtig drastischen Einbruchs der Gewerbesteuer ist möglicherweise gerade im Augenblick der richtige Zeitpunkt, die kommunalen Einnahmen auf eine verlässlichere Grundlage zu stellen.
Seiten 6 und 7:
Wir streben Wettbewerbsgleichheit kommunaler und privater Anbieter insbesondere bei der Umsatzsteuer an, um Arbeitsplätze zu sichern und Investitionen zu er-
möglichen. Aufgaben der Daseinsvorsorge sollen nicht über die bestehenden Regelungen hinaus steuerlich belastet werden.
Zwar bedeutet die Einführung der Umsatzsteuerpflicht auch Vorsteuerabzugsfähigkeit, hier besteht aber das Problem, dass der Großteil der Investitionen schon getätigt ist und jetzt nicht mehr bei der Vorsteuer geltend gemacht werden können. Auf jeden Fall erscheint nach einem Blick in den Koalitionsvertrag die aufgeregte Debatte der letzten Tage wegen einer angeblichen Verteuerung irregeleitet (Frankfurter Rundschau: Bei Müll und Abwasser höhere Gebühren; Mieterbund: Mietern drohen Mehrkosten von 150 Euro), denn die Aussage im Koalitionsvertrag zur Daseinsvorsorge schränkt den Anwendungsbereich stark ein: Wasser zum Beispiel ist im Rahmen der Daseinsvorsorge von der Kommune bereitzustellen, und externe Angebote unterliegen bereits jetzt der allgemeinen Besteuerung, einschließlich der Umsatzbesteuerung.
Öffentlicher Personennahverkehr
Seite 29:
Die Koalition bekennt sich zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) als unverzichtbaren Bestandteil der Daseinsvorsorge, auch in der Fläche. Um für den ÖPNV verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, werden wir unverzüglich das Personenbeförderungsgesetz (PBefG) novellieren und an den europäischen Rechtsrahmen anpassen. Unser Leitbild ist dabei ein unternehmerisch und wettbewerblich ausgerichteter ÖPNV. Dabei werden wir den Vorrang kommerzieller Verkehre gewährleisten. Aufgabenträger bleiben die Kommunen. Wir wollen mittelständischen Unternehmen die Beteiligungschancen sichern und insbesondere eine Betreibervielfalt im Busgewerbe gewährleisten. Die Koalition steht zur Erfüllung der Finanzierungsverpflichtungen aus dem Regionalisierungsgesetz. Wir wollen jedoch eine höhere Transparenz in der ÖPNV-Finanzierung erreichen. Für regionale Schienenstrecken werden wir neue Betreibermodelle erproben, um den Ländern und Aufgabenträgern Einfluss etwa auf Modernisierung und Regionalisierung zu geben.
Wir werden Busfernlinienverkehr zulassen und dazu § 13 PBefG ändern.
Dieser Passus trägt der FDP-Forderung nach einer gewissen Trennung von Netz und Betrieb Rechnung und steht im Einklang mit derjenigen Regelung der Bahnreform, wonach Netz, Bahnhöfe usw. nicht privatisiert werden, was im Sinne schnellerer Planung in der Tendenz richtig ist. Die Umsetzung bleibt jedoch abzuwarten; vermutlich bleibt die Bahn über mittlere Frist eher unverändert.
Stadt- und Regionalverkehr
Seite 31:
Die Koalition wird – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des demographischen Wandels – einen attraktiven und nachhaltigen Stadt- und Regionalverkehr fördern. Wir werden uns aktiv mit der Initiative der EU-Kommission »Urbane Mobilität« befassen. Wichtig ist dabei, den Grundsatz der Subsidiarität zu beachten und das Selbstverwaltungsrecht der Kommunen nicht einzuschränken. Eine City-Maut und generelle innerstädtische Fahrverbote lehnen wir ab. Der Radverkehr stellt für uns einen wichtigen Bestandteil städtischer Mobilität dar. Deshalb werden wir den Nationalen Radverkehrsplan weiterentwickeln.
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S. … Sozialleistungen: SGB II:
Sozialtransfers und Bürgergeld
Seite 75:
Die Koalition nimmt sich vor, die vielfältigen und kaum noch überschaubaren steuerfinanzierten Sozialleistungen darauf hin zu überprüfen, ob und in welchem Umfang eine Zusammenfassung möglich ist. In diese Prüfung wird auch das Konzept eines bedarfsorientierten Bürgergeldes einbezogen.
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Kinderbetreuung
Seite 60:
Wir wollen in der Kinderbetreuung weitere Maßnahmen für einen verbesserten qualitativen und quantitativen flexiblen Ausbau bei Trägervielfalt auch unter Einbeziehung von Tagespflege ergreifen und die Vernetzung mit anderen familienunterstützenden Angeboten im Sinne von Familienzentren und Mehrgenerationenhäusern intensivieren. Dazu gehört die Qualifikation von Tagespflegepersonen sowie Erzieherinnen und Erziehern und bessere Rahmenbedingungen für Ausbildung und Beruf in Kooperation mit Ländern, Kommunen und Verbänden. Wir werden darauf hinwirken, dass sich Bund und Länder auf gemeinsame Eckpunkte der frühkindlichen Bildung, insbesondere auch der Sprachförderung, einigen. Wir begrüßen eine freiwillige Zertifizierung der Einrichtungen bei wissenschaftlicher Begleitung. Um qualifiziertes Personal zu gewinnen, wird eine Verbesserung der Rahmenbedingungen angestrebt.
Kinderlärm darf keinen Anlass für gerichtliche Auseinandersetzungen geben. Wir werden die Gesetzeslage entsprechend ändern.
Um Wahlfreiheit zu anderen öffentlichen Angeboten und Leistungen zu ermöglichen, soll ab dem Jahr 2013 ein Betreuungsgeld in Höhe von 150,– Euro, gegebenenfalls als Gutschein, für Kinder unter drei Jahren als Bundesleistung eingeführt werden.
Die Auswirkungen dieses Abschnitts sind unklar. Hier ist festzuhalten, dass es vom Bund keine Unterstützung gab im Rahmen der Tarifauseinandersetzungen, im Gegenteil: Frau von der Leyen ist den Kommunen in den Rücken gefallen.
Kinderlärm: Für die Planung sind neue Vorgaben zu erwarten, speziell bei der Gestaltung in Wohngebieten waren die Kommunen bisher eingeschränkt, die Neuregelung ist zu begrüßen.
Das Betreuungsgeld, das ggf. als Gutschein bereitgestellt wird, kann in städtischen Bereichen eine Möglichkeit sein, die Auswahl für die Bürger zu vergrößern, aber in ländlichen Bereichen kann es Probleme geben, wenn Angebote nicht angenommen werden und in ihrer Existenz in Frage sind. Das Betreuungsgeld in Gutscheinform soll zwar als Bundesleistung ausgestaltet werden, aber sobald es über die Länder durchgereicht werden soll, ist damit zu rechnen, daß es nicht bei den Kommunen ankommt.
Reform der Kinder- und Jugendhilfe
Wir werden das Kinder- und Jugendhilfesystem und seine Rechtsgrundlagen im SGB VIII auf Zielgenauigkeit und Effektivität hin überprüfen. Wir wollen frühe, schnelle und unbürokratische Hilfezugänge durch hoch qualifizierte Leistungsangebote und den Abbau von Schnittstellenproblemen zwischen der Jugendhilfe und anderen Hilfesystemen erreichen. Dies gilt insbesondere bei Frühen Hilfen und bei Hilfen für junge Menschen mit Behinderungen. Wir werden die Qualität der Kinder- und Jugendhilfe evaluieren und gegebenenfalls Standards weiterentwickeln.
Bei der »Weiterentwicklung« der Standards müssen die Kostenrisiken für die Kommunen beobachtet werden.
Integration
Das Thema Integration wird im Koalitionsvertrag ein großes Kapitel gewidmet und angemessen behandelt (Seiten 66 bis 71).
Hervorzuheben ist, dass die Optionsregelung im Staatsangehörigkeitsgesetz überprüft werden soll (Seite 69). Hier gibt es das Problem, dass Fristen auslaufen.
Hervorzuheben ist auch, dass es eine kurzfristige Lösung zur Bleiberechtsregelung geben soll, da es angesichts der Wirtschaftskrise vielen Betroffenen nicht möglich sein wird, bis Ende 2009 den Nachweis zu führen, dass Sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können.
SGB-II-Strukturreform
Seite 74:
Die Koalition will die Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung für Langzeitarbeitslose im Sinne der Menschen neu ordnen. Wir streben eine verfassungsfeste Lösung ohne Änderung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Finanzbeziehungen an, die dazu beiträgt, dass Langzeitarbeitslosigkeit vermieden bzw. so schnell wie möglich überwunden wird.
Dabei gilt es, die Kompetenz und Erfahrung der Länder und der Kommunen vor
Ort sowie der Bundesagentur für Arbeit in getrennter Aufgabenwahrnehmung für
die Betreuung und Vermittlung der Langzeitarbeitslosen zu nutzen. Die bestehenden Optionskommunen sollen diese Aufgabe unbefristet wahrnehmen können. Dabei muss kommunalen Neugliederungen Rechnung getragen werden können.
Die Bundesagentur für Arbeit erhält die Aufgabe, den Kommunen attraktive Angebote zur freiwilligen Zusammenarbeit zu unterbreiten. Dazu wird das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung einen »Mustervertrag« ausarbeiten, der die Zusammenarbeit regelt und die kommunale Selbstverwaltung achtet. Unser Ziel ist eine bürgerfreundliche Verwaltung, die unnötige Doppelarbeit vermeidet.
Die Koalition will eine Neuregelung schaffen für die sog. Jobcenter-Arbeitsgemeinschaften, die 2007 vom Bundesverfassungsgericht als unzulässige Mischverwaltung verworfen worden waren. Als Lösung soll ein Mustervertrag eingeführt werden; hier ist zu befürchten, dass der Bundesagentur für Arbeit mehr Einfluss verschafft werden würde; diese Entwicklung muss man ganz genau beobachten, damit den Kommunen keine Gestaltungsmöglichkeiten genommen werden.
Eine Folge des Koalitionsvertrages ist, dass bei den bislang noch befristeten Arbeitsverhältnissen in den Optionskommunen die Entfristung in Aussicht steht. Der letzte Satz im zweiten Absatz ist vor allem wichtig angesichts der Gebietsreformen in den neuen Bundesländern, besonders in Mecklenburg-Vorpommern.
Grundsätzliches zur Kommunalpolitik
Seite 104:
Wir wollen in Deutschland starke Kommunen. Unsere Städte, Gemeinden und Landkreise stehen heute vor vielfältigen Herausforderungen im Bereich von Demographie, Integration, Umwelt und Wirtschaft.
Die kommunale Selbstverwaltung ist ein hohes Gut. Wir setzen uns für leistungsfähige Städte, Gemeinden und Gemeindeverbände ein, um die vielfältigen Aufgaben auch in Zukunft sicherzustellen. Zusammen mit den kommunalen Spitzenverbänden werden wir nach Wegen suchen, Entlastungen für die Kommunen, z. B. Flexibilisierung von Standards und Gleichstellung bei gesamtstaatlichen Aufgaben, und Erweiterungen des kommunalen Handlungsspielraums zu identifizieren. Wir wollen, dass die Bürger sich in ihrer Heimat wohl fühlen.
Die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise haben die Leistungsfähigkeit vieler Kommunen strapaziert und Fragen nach der Güte kommunaler Leistungsfähigkeit aufgeworfen. Wir beabsichtigen, den Ländern vorschlagen, eine gemeinsame Bestandsaufnahme zu erarbeiten und Handlungsempfehlungen zur Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung vorzulegen. Dabei sind auch Fragen der Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und Gemeinden (Konnexitätsprinzip) und der Beteiligung der Kommunen an der Gesetzgebung des Bundes einzubeziehen, ebenso der Anschluss des ländlichen Raums an die Breitbandversorgung.