VLK-Hessen verlangt Offensive für mehr Wohnraum in hessischen Städten

19.11.2016

Einstimmig beschlossen auf der VLK-Landesdelegiertenversammlung am 19. November 2016 in Wetzlar-Nauborn:

Offensive für mehr Wohnraum
in hessischen Städten

Antrag zur VLK-Landesdelegiertenversammlung am 19.11.2016 in Wetzlar-Nauborn

Antragsteller: VLK-Landesvorstand.

  1. Um die Wohnungsnachfrage befriedigen zu können und Blasenbildungen bei Mieten und Immobilienpreisen zu verhindern, bedarf es einer wohnungspolitischen Offensive, die geeignet ist, mehr Wohnraum zu schaffen: Angebot und Nachfrage müssen einander wieder angenähert werden. – Die sogenannte Mietpreisbremse ist hingegen Augenwischerei und lenkt von den wirklichen Ursachen für den Wohnraummangel ab. Die Mietpreisbremse muss daher wieder abgeschafft werden.
  2. Eine Ursache für den Wohnraummangel liegt in der Abschaffung der degressiven Abschreibung im Jahr 2005, wodurch die Investition in Wohnraum unattraktiver wurde. Die VLK-Hessen fordert deshalb von der Bundesregierung attraktivere steuerliche Regelungen, die den Wohnraummangel beheben, der vor allem auch im Ballungsraum Frankfurt-Rhein-Main innerhalb der letzten zehn Jahre entstanden ist. Zudem müssen Baugenehmigungen erleichtert und beschleunigt werden. Schließlich müssen auch überzogene Standards in den Bauvorschriften gesenkt werden, soweit sie nicht die Sicherheit und Solidität von Bauten betreffen.
  3. An geeigneten Standorten in hessischen Kommunen machen der Wunsch nach einem städtischen Wohnumfeld und die knapper werdenden Flächen eine dichtere und gleichwohl lebenswerte urbane Bebauung mit Einkaufs- und Kulturangeboten auch in den äußeren Stadtteilen und in den Vorstädten wünschenswert. Die VLK-Hessen unterstützt deshalb die Schaffung einer neuen Baugebietskategorie »urbanes Gebiet« (MU) gemäß § 6a im BauNVO-Referentenentwurf vom 16. Juni 2016, der eine urbane Mischbebauung von Wohnen und Gewerbe ermöglichen soll.
  4. Die VLK-Hessen wendet sich gegen neue Siedlungsgroßprojekte mit Trabanten-stadtbebauung: Ghettobildungen müssen verhindert werden, eine soziale Durch-mischung ist im Interesse aller. Für Frankfurt am Main werden innenstadtnahe Wohnhochhäuser vor allem mit Blick auf den Brexit grundsätzlich befürwortet. Im Rahmen des Regionalparks sollen weitere Grünanlagenringe und Frischluftspeichen entstehen.
  5. Die VLK-Hessen befürwortet eine Internationale Bauausstellung (IBA) zum mit dem Ziel der Weiterentwicklung von Frankfurt-Rhein-Main zur »Smart Region« als Netz mit vielfältigen Knotenpunkten zwischen allen Akteuren, um damit die Chancen für die Region zu ergreifen, welche sich aus den weitreichenden Veränderungen durch die Digitalisierung bei Wohnen, Mobilität, Arbeiten, Bildung und Freizeit ergeben.
  6. Die Kommunen im Ballungsraum Frankfurt/Rhein-Main werden aufgefordert, mehr Bauland auszuweisen und auch durch Nachverdichtung an geeigneten Stellen sowie auf die Schließung von Baulücken und Weltkriegswunden hinzuwirken. Regionalverband, Regionalversammlung und kommunale Spitzenverbände werden aufgefordert, eine Analyse zu erstellen, warum Kommunen Wohnbauflächen, die im Regionalen Flächennutzungsplan (RegFNP) bevorratet sind, nur unzureichend entwickeln (im Ballungsraum nur ca. 11 %), um wirkungsvollere Maßnahmen zur Bekämpfung der Wohnraumknappheit zu erarbeiten.

Begründung

Zu 1

Dass die Mieten in der Metropolregion Frankfurt-Rhein-Main hoch sind, liegt in der Natur der Sache, da Lage und Verkehrsanbindung zu einem großen Teil über die Nachfrage und damit über die Mietpreise entscheiden. Die Mietpreissituation ist gleichwohl – selbst in Frankfurt – im Ganzen gesehen nicht so dramatisch, wie sie oftmals dargestellt wird:

Die durchschnittliche Nettokaltmiete in Frankfurt ist nach dem Mietspiegel 2010 bzw. 2016 rechnerisch von 7,78 Euro auf 8,81 Euro pro Quadratmeter und Monat gestiegen (»Frankfurter Rundschau« vom 15. September 2014 bzw. 20. Mai 2016). Das entspricht einer Steigerung um 13,2 % – von Ende 2009 bis Ende 2015, also über 6 Jahre. Die Mietpreissteigerung liegt damit in Frankfurt nur 2,1 Prozentpunkte höher als die Inflation, die im gleichen Zeitraum kumuliert 11,1 % betragen hat. – Die Entwicklung der Mietpreise in Frankfurt ist somit mit den horrenden Verhältnissen in anderen Metropolen, wie zum Beispiel in London, kaum zu vergleichen.

Gleichwohl ist damit zu rechnen, dass der Zuzugsdruck auf Frankfurt auch in Zukunft steigen wird. Durch den Brexit könnte er darüber noch hinaus weiter zunehmen. Die VLK-Hessen ist der Ansicht, dass der Ballungsraum sich auf diese Entwicklung einstellen muss. Die Mietpreisbremse ist jedoch der falsche Weg.

Die Mietpreisbremse erscheint als bloße Augenwischerei: Ein wichtiges Indiz dafür ist, dass ein halbes Jahr nach ihrer Einführung noch keine Rechtsstreitigkeit bekanntgeworden ist: weder eine Klage auf Feststellung der vorherigen Miete noch eine Klage auf Rückzahlung überzahlter Miete. Dies deutet darauf hin, dass die Mietpreisbremse ins Leere läuft.

Zwar wird teilweise auch behauptet, dass die Mietpreisbremse die Anreize reduziere, in Wohnraum zu investieren, dieses Argument überzeugt jedoch nur bedingt, da Neubauten von der Mietpreisbremse ausdrücklich ausgenommen sind. Allerdings gibt die Mietpreisbremse ein negatives Signal an Investoren: Das Vertrauen in verlässliche Rahmenbedingungen schwindet, das Interesse an Langzeitinvestitionen im Mietwohnungsbau sinkt.

Das eigentliche Problem löst die Mietpreisbremse nicht: eine hohe Nachfrage, vor allem in Großstädten, denen ein zu geringes Angebot gegenübersteht.

Zu 2

Die VLK-Hessen sieht neben dem Mangel an Bauland eine Hauptursache für die geringe Bautätigkeit in der Abschaffung der degressiven Abschreibung. Das zeigt auch eine Analyse des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (www.rwi-essen.de/media/content/pages/publikationen/rwi-projektberichte/PB_Investitionsanreize-im-Wohnungsbau_Kurzfassung.pdf). Nach der Abschaffung der degressiven Abschreibung für Wohngebäude im Jahr 2005 gab es nur noch die lineare Abschreibung von jährlich 2 % über 50 Jahre. Früher hingegen konnten mit der degressiven Abschreibung in den ersten 10 Jahren jedes Jahr 4 Prozent, danach für 8 Jahre jeweils 2,5 Prozent und anschließend über 32 Jahre jeweils 1,25 Prozent der Anschaffungs- und Herstellungskosten abgeschrieben werden (vgl. § 7 Abs. 5 Nr. 3 Buchst. c EStG).

Zudem müssen überzogene Baustandards gesenkt werden: Der Chef der städtischen Frankfurter Wohnungsbaugesellschaft ABG hat festgestellt, dass aufgrund der Bau- und Erstellungskosten heutzutage mit freier Finanzierung eine Nettokaltmiete von mindestens 11,50 bis 12,00 Euro pro Quadratmeter verlangt werden müsste (»Frankfurter Rundschau« vom 29. Juli 2015).

Prominentes Beispiel für überzogene Standards ist die Frankfurter Stellplatzsatzung, die unter anderem mindestens einen Stellplatz pro Wohnung verlangt, was häufig mit einer teuren Ablösung einhergeht. Durch den Umstieg auf ÖPNV, Fahrrad, »Car-Sharing« und künftig auch die Kurzzeitmiete fahrerloser Autos wird die Vorhaltung wohnungsbezogener PKW-Parkplätze in überschaubarer Zukunft zu einem großen Teil überflüssig. Andere Beispiele für überzogene Standards sind Renovierungsauflagen, die mit erheblichen Kosten verbunden sind, wie der nachträgliche Einbau von Aufzügen. Hinzu kommt die regelmäßige Verschärfung der Energiebaustandards und eine zunehmende Zahl neuer Auflagen. Die strenge Energieeinsparverordnung schießt über das Ziel hinaus und muss auf den Prüfstand gestellt werden.

Schließlich müssen Baugenehmigungen erleichtert und beschleunigt werden.

Zu 3

Immer mehr Menschen wollen in Städten wohnen und wünschen sich ein urbanes Wohnumfeld, das nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung steht. Außerdem legen die Bodenpreise eine höhere Bodenausnutzung und damit dichtere Bebauung nahe, wie sie nicht zuletzt bei Kreativen und Familien gleichermaßen beliebt ist. Es ist daher wünschenswert, dass künftig vermehrt auch in den äußeren Frankfurter Stadtteilen und den Vorstädten an geeigneten Standorten eine dichtere Bebauung und ein urbanes Wohnumfeld Einzug halten.

Im BauNVO-Referentenentwurf (http://www.bmub.bund.de/N53236/) vom 16. Juni 2016 soll die neue Baugebietskategorie »Urbane Gebiete (MU)« (M für Mischgebiet) eingeführt werden (siehe Anhang auf Seite 5). Die Kommunen würden damit die Möglichkeit erhalten, stark verdichtete Gebiete zu planen, die ein städtisches Wohngefühl vermitteln; das Lärmschutzniveau soll gleichwohl grundsätzlich gehalten werden.

Die VLK-Hessen begrüßt und unterstützt dieses Vorhaben nachdrücklich.

Zu 4

Die VLK-Hessen wendet sich strikt gegen neue Siedlungsgroßprojekte mit Trabantenstadtbebauung wie in den 1960er Jahren: Derartige soziale und architektonische Monostrukturen haben sich nicht bewährt und dürfen nicht noch einmal entstehen; kleinteilige Bebauung und soziale Durchmischung sind für ein gedeihliches Miteinander und eine gelingende Integration unerlässlich.

Einem voraussichtlich steigenden Bedarf an exklusivem Wohnraum, nicht zuletzt durch den Brexit, kann ergänzend auch durch innenstadtnahe Wohnhochhäuser entgegengekommen werden.

Um das hohe Niveau an Lebensqualität zu halten, eine geschlossene Verstädterung zu verhindern und ein angenehmes Stadtklima zu bewahren, soll der Regionalpark um weitere Grünanlagenringe und Frischluftspeichen erweitert werden.

Zu 5

Im Rahmen einer internationalen Bauausstellung (IBA) könnten neue Wege für urbanes Leben, lebenswerte verdichtete Bebauung, ansprechende Nachverdichtung und die energetische Sanierung wertvoller Altbauten gesucht werden.

Zu 6

Eine weitere wichtige Ursache für den Wohnraummangel im Ballungsraum Frankfurt-Rhein-Main liegt darin, dass die Kommunen zuwenig Bauland ausweisen, obwohl ihnen im Regionalen Flächennutzungsplan (RegFNP) für die Jahre 2010–2020 ausreichend Flächen bereitgestellt werden. Von allen für den Zehnjahreszeitraum bis 2020 im RegFNP bereitgestellten Flächen wurden nach einer Analyse des Regionalverbandes bis zum Jahresende 2015 von den Kommunen nur ca. 11 % in Anspruch genommen (Regionalverband, »Rechnerische Potenziale für den Wohnungsbau im Gebiet des Regionalverbandes bis 2030«, April 2016).

Es muss daher analysiert werden, welche wirklichen Gründe die Kommunen davon abhalten, die bereitgestellten Flächen in ausreichendem Maße zu entwickeln. Besonderes Augenmerk muss dabei auf die Kosten gelegt werden, die für die Kommunen mit einem Einwohnerzuwachs verbunden sind.

Nach dem Baulückenkataster des Regionalverbandes bestehen im Ballungsraum Baulücken von bis zu 1.100 Hektar (Regionalverband, »Rechnerische Potenziale für den Wohnungsbau im Gebiet des Regionalverbandes bis 2030«, April 2016), die künftig zielstrebig geschlossen werden müssen. Zudem gibt es im Frankfurter Stadtgebiet noch zahlreiche Wohngebäude, bei denen Weltkriegsschäden nur improvisiert und unter Verlust von Wohnraum repariert wurden: Hier kann die Stadt Frankfurt durch Ansprache der Eigentümer auch zugleich auf eine Verbesserung bzw. Wiederherstellung des Stadtbildes hinwirken.

Anhang

§ 6a BauNVO lt. Referentenentwurf vom 16. Juni 2016

§ 6a Urbane Gebiete. (1) Urbane Gebiete dienen dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben sowie sozialen, kulturellen und anderen Einrichtungen in kleinräumiger Nutzungsmischung, soweit diese Betriebe und Einrichtungen die Wohnnutzung nicht wesentlich stören.

(2) Zulässig sind

  1. Gebäude, die zu einem erheblichen Anteil, aber nicht ausschließlich dem Wohnen dienen,
  2. Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften sowie Betriebe des Beherbergungsgewerbes,
  3. sonstige Gewerbebetriebe,
  4. Anlagen für Verwaltungen sowie für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
  5. Vergnügungsstätten, soweit sie nicht wegen ihrer Zweckbestimmung oder ihres Umfangs nur in Kerngebieten allgemein zulässig sind.

(3) Ausnahmsweise können Gebäude zugelassen werden, die ausschließlich dem Wohnen dienen.

(4) Im Erdgeschoss sind Wohnungen straßenseitig nur ausnahmsweise zulässig.

(5) Für urbane Gebiete oder Teile solcher Gebiete kann festgesetzt werden, dass in Gebäuden oberhalb eines im Bebauungsplan bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind oder ein im Bebauungsplan bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche oder eine im Bebauungsplan bestimmte Größe der Geschossfläche für Wohnungen zu verwenden ist.