VLK-Bundesversammlung fasst Beschluss zu interkommunaler Kooperation

20.09.2014

Der demografische Wandel in unserem Land ist im vollen Gange. Während einerseits in einzelnen Ballungszentren auch mittelfristig mit Einwohnerzuwächsen gerechnet werden muss, dort über die Ausweitung der Infrastruktur und Wege für die Schaffung bezahlbaren Wohnraumes nachgedacht wird, ist in anderen Teilen unseres Landes – insbesondere im ländlichen Bereich – der Einwohnerrückgang nachhaltig spürbar und wird sich in den nächsten Jahren noch weiter beschleunigen. Dies wird auch durch positive Zuwanderungsbilanzen, z. B. durch Einführung eines praktikablen Einwanderungsgesetzes, sich nicht wesentlich verändern. Spürbar wird diese Entwicklung insbesondere bei den Kommunen. Verstärkt wird die Problematik durch die in der Regel schwächere Finanzausstattung und Steuerkraft im ländlichen Bereich, die auch mit dem kommunalen Finanzausgleich in den einzelnen Bundesländern nur begrenzt ausgeglichen wird. Ferner stehen diese Kommunen vielfach vor einem weiteren Problem: Geringere Einwohnerzahlen bedeuten rückläufige Infrastruktur, z. B. Schließung von Bank- und Postfilialen, weniger Einzelhandelsgeschäfte, geringere Breitbandinvestitionen, schwächere ÖPNV-Anbindung, um nur einige Problembereiche zu nennen. Diese Entwicklung bedroht die Handlungsfähigkeit zahlreicher kleinerer und mittlerer Gebietskörperschaften und damit die Zukunft der kommunalen Selbstverwaltung im Kern.

Hier gilt es Antworten zu finden, die wirtschaftlich vertretbar sind, mittelfristig der kommunalen Eigenverantwortung Perspektive bieten, aber auch bürgerschaftliches Engagement und Identität der Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Gemeinde, ihrer Stadt oder ihrem Landkreis noch ermöglichen.

Liberale setzen daher verstärkt auf den Weg der interkommunalen Kooperation als pragmatischen und effizienten Weg der Weiterentwicklung unserer kommunalen Selbstverwaltung in den Bereichen, wo dies aufgrund des demografischen Wandels geboten ist.

Die Bündelung von Aufgaben kann insoweit grundsätzlich auf drei Wegen erfolgen:

  • Durch Landesgesetz vorgegebener Zusammenschluss von Gebietskörperschaften (klassische Gebietsreform, ggf. auch gegen das Votum bisheriger Gebietskörperschaften).
  • Freiwilliger Zusammenschluss von Gebietskörperschaften zu neuen Gemeinden oder Landkreisen.
  • Verstärkte interkommunale Kooperation unter grundsätzlicher Beibehaltung des bisherigen Zuschnitts der Gebietskörperschaften.

Der zwangsweise Zusammenschluss von Gemeinden, Städten oder Landkreise durch Landesgesetzgebung ist für Liberale in der Regel kein geeigneter Weg, um dem demografischen Wandel zu begegnen. Dabei besteht die große Gefahr, dass sich Bürgerinnen und Bürger nicht mehr mit der neuen Gebietskörperschaft identifizieren, ehrenamtliches und bürgerschaftliches Engagement zurückgehen und – wie z. B. bei Großkreisen – neue Gebietskörperschaften geschaffen werden, die bürgerferner sind und dabei Vertretungskörperschaften ihre Aufgaben nicht mehr sachgerecht wahrnehmen können. Gesetzliche Neuordnungen kommen für uns nur für den Fall in Betracht, dass z. B. Kleinstgemeinden sich anderen Lösungswegen nicht aufgeschlossen zeigen und letztlich die sachgerechte Erfüllung der Gemeindeaufgaben organisatorisch und finanziell dauerhaft nicht mehr sichergestellt werden kann.

Liberale setzen vielmehr auf den freiwilligen Zusammenschluss von Gebietskörperschaften oder der verstärkten interkommunalen Kooperation. Der freiwillige Zusammenschluss von Gebietskörperschaften kann dadurch gefördert werden, dass in den jeweiligen Bundesländern Anreizprogramme für derartige Zusammenschlüsse geschaffen werden. Dabei könnte die Übernahme von Teilen der Altschulden, die Übernahme von Teilen der Pensionslasten bei Beamten, die z. B. nach Gebietsreform in den Vorruhestand gehen könnten, oder die Übernahme administrativer Aufwendungen oder Beratungskosten im Zuge des Zusammenschlusses in Betracht kommen. Dies könnte – unter Einbeziehung der jeweiligen Bürgerschaft und Vertretungskörperschaft der zusammenschließenden Gemeinden – Wege ebnen.

Aber auch ohne freiwillige Neubildung einer Gebietskörperschaft gibt es jedoch vielfältige Möglichkeiten und Chancen der interkommunalen Kooperation, die zur Bewältigung des demografischen Wandels intensiver als bisher angegangen werden könnten. Neben der klassischen und vielfach bewährten Kooperation in Form von Zweckverbänden (z. B. im Bereich Abwasser, Wasser oder Schwimmbäder) sollten auch andere Kooperationsformen ins Auge gefasst werden, da Zweckverbände durch ihre Struktur zum Teil nur begrenzt flexibel sind. Die Möglichkeiten durch öffentlich-rechtliche Verträge zwischen Gemeinden und Städten gemeinsame Aufgaben wahrzunehmen oder in Form von GmbHs oder Vereinskonstruktionen unter grundsätzlicher Beibehaltung der kommunalen Eigenverantwortung Aufgaben wirtschaftlicher gemeinsam zu erledigen sind vielfältig und bei weitem noch nicht ausgereizt. Hierzu gibt es bereits eine Reihe von positiven Beispielen, die durch eine Umfrage bei den liberalen Fraktionen in den Gemeinden, Städten und Landkreisen ergänzt und in Form einer Datenbank als Anregung verfügbar gemacht werden könnten.

Konkrete Einzelbeispiele sind

  • Tourismus: Übertragung der gemeindeübergreifenden Vermarktung einer Region (Destination) auf einen Tourismusverband (e. V.), der wie z. B. im Lahntal Tourismus Verband sogar länderübergreifend (Rheinland-Pfalz, Hessen, Nordrhein-Westfalen) aus kommunaler Initiative und in kommunaler Eigenverantwortung gebildet werden konnte.
  • Brandschutz: Gemeinde- und stadtübergreifende Konzeption zur Beschaffung und zum Einsatz von Spezialfahrzeugen, kreisweite Konzeption zur Sicherung der Löschwasserversorgung (z. B. Lahn-Dill-Kreis).
  • Kindergärten, Grundschulen: Gemeindeübergreifende Einzugsbereiche für derartige Einrichtungen, um pädagogisch sinnvolle Mindestgrößen zu erreichen. Das Prinzip »Kurze Wege für kurze Beine“ muss dabei jedoch – soweit organisatorisch und finanziell möglich – berücksichtigt werden.
  • Ordnungsrecht: Gemeindeübergreifende Ordnungsamtsbezirke, gemeinsamer Betrieb und Einsatz von Geschwindigkeitsmessgeräten oder Ordnungspolizeibeamten.
  • Planungsrecht: Gemeinsame Entwicklung von Bau- und Gewerbegebieten oder Entwicklungskonzepten für Stadt- oder Dorfkerne.
  • Gemeinsames »Backoffice“: Gemeinsame Abwicklungsstellen für Teilaufgaben von Kämmerei, Kasse oder Personalverwaltung, Beschaffungs- oder Ausschreibungsverfahren.
  • Betriebshöfe: Zusammenführung von Betriebshöfen oder gemeinsame Nutzung von Spezialfahrzeugen.

Die vorgenannte Darstellung von Kooperationsformen ist nur beispielhaft und im Sinne der kommunalen Selbstverwaltung vielfältig erweiterbar. Voraussetzung muss nur sein, dass die jeweiligen Effizienzgewinne auch durch eine transparente Wirtschaftlichkeitsprüfung nachvollziehbar sind und darüber hinaus die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbezogen und von der Notwendigkeit der Maßnahme überzeugt werden können. Hierzu empfiehlt sich eine rechtzeitige Einbeziehung von Personalrat, Frauenbeauftragte und Schwerbehindertenvertretung. In der Regel stehen darüber hinaus auch die kommunalen Spitzenverbände zur rechtlichen und organisatorischen Beratung begleitend zur Verfügung.
Interkommunale Kooperation im vorgenannten Sinne ist eine Chance, die Eigenverantwortung, Initiative und Flexibilität von den kommunalpolitisch Verantwortlichen voraussetzt und sich vom traditionellen Konkurrenz- und Kirchturmdenken verabschiedet. Diese Kooperation wird allerdings immer notwendiger werden, wenn wir nicht in Kauf nehmen wollen, dass Qualität und Akzeptanz kommunaler Dienstleistungen weiter sinken, finanzielle Problemlagen der Gebietskörperschaften zunehmen und damit auch Interventionen durch die Aufsichtsbehörden häufiger werden.