Perspektiven für die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen

27.10.2010

Von Wolfram Dette

I.

Unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen der kommunalen Einnahmemöglichkeiten ist eine mittelfristige Finanzplanung kaum verlässlich möglich.

Neben der berechenbaren Grundsteuer, dem mit überschaubaren Schwankungsbreiten versehenen kommunalen Anteil am Aufkommen der Einkommensteuer und dem in den letzten Jahren durch willkürliche Eingriffe der Länder geprägten Kommunalen Finanzausgleich ist die Gewerbesteuer die wichtigste Finanzierungsquelle der Kommunen. Gerade die letzten beiden Jahre haben erneut gezeigt, dass die Größenordnung der Gewerbesteuereinnahmen in der mittelfristigen Finanzplanung kaum verlässlich planbar ist. Wie der Gemeindefinanzbericht des Deutschen Städtetages für das Jahr 2009 darstellt, ist das Bruttogewerbesteueraufkommen im Verhältnis zum Jahre 2008 bundesweit um rd. 21 % zurückgegangen. Diese Durchschnittszahl spiegelt nur in begrenztem Maße die Dramatik wieder, die sich – bedingt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise – in dem nahezu vollständig von der Ertragsentwicklung der Gewerbebetriebe abhängigen Gewerbesteueraufkommen vollzogen hat. In der Stadt Wetzlar stürzte das Gewerbesteueraufkommen von noch rd. 45 Mio. Euro brutto in 2008 auf rd. 17 Mio. Euro brutto in 2009 ab, im Jahre 2010 wird mit rd. 25 Mio. Euro Gewerbesteueraufkommen gerechnet. Der Rückgang von rd. 63 % des Steueraufkommens eines der wichtigsten Finanzierungsquellen ist sicherlich im Vergleich zu anderen Kommunen dramatisch, jedoch nicht außergewöhnlich, wie die Entwicklungen in Ludwigshafen am Rhein (62 % Rückgang), Salzgitter (73 % Rückgang) oder Friedrichshafen (73 % Rückgang) aufzeigen.

Diese Extremeinnahmeschwankungen korrespondieren mit einem Ausgabebedarf der Kommunen, der durch einen immer größeren Anteil gesetzlicher Aufgaben im Verhältnis zu den potentiell noch gestaltbaren sogenannten freiwilligen Leistungen der Kommunen steht. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Bereich der Kindertagesstätten: War noch vor einem guten Jahrzehnt dieser Bereich vollständig selbstbestimmter Teil der kommunalen Selbstverwaltung, so ist zunächst der Bereich der vier- bis sechsjährigen Kinder zur gesetzlichen Pflichtleistung verändert worden, nach dem Jahre 2012 wird dies auch für die unter dreijährigen Kinder durch den Gesetzgeber ausgeweitet werden. Unabhängig von der fachlichen Notwendigkeit einer solchen Maßnahme und im Hinblick auf einen positiven Impuls für die demographische Entwicklung in unserem Land stellt sich für die Kommunen die Sachlage wie folgt dar:

Die finanziellen Hilfen zur Umsetzung dieser Rechtsansprüche durch Bund und Land sind – gerade im Hinblick auf die laufenden Kosten – als nicht auskömmlich zu bezeichnen, so dass – zumindest in den alten Bundesländern – die Einführung dieser Rechtsansprüche mit kontinuierlich steigendem Zuschussbedarf bei der Unterhaltung der Kindertagesstätten korrespondiert.

Gleiches gilt für die allgemeine Jugendhilfe:

Verschärfte Anforderungen der Öffentlichkeit und der Gerichte an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter (in Wetzlar wird beispielsweise derzeit eine Jugendamtsmitarbeiterin wegen unterlassener Hilfeleistung von der Staatsanwaltschaft angeklagt) im Hinblick auf ihre Garantenpflicht tragen zwangsläufig dazu bei, dass der finanzielle Aufwand für die Interventionsmaßnahmen der Jugendhilfe kontinuierlich steigen. Wenn man davon ausgeht, dass eine einzige Heimunterbringung im Jahr einen Kostenaufwand zwischen 50.000,– und 90.000,– Euro auslöst, wird schnell erkennbar, dass nur wenige zusätzliche Fälle sogleich einen erheblichen Mittelbedarf in den kommunalen Haushalten auslösen. Die vorgenannten Finanzbedarfe entstehen im Übrigen unabhängig davon, wie sich die Einnahmesituation in den Kommunen entwickelt.

Aber selbst wenn Kommunen im Sinne einer guten Haushaltswirtschaft in den vergleichsweise finanzstarken Jahren 2006 bis 2008 Rücklagen bilden – so wie dies in Wetzlar beispielsweise in einer Größenordnung von mehr als 20 Mio. Euro erfolgt ist –, so wird dies bei den oben dargestellten extremen Einnahmeschwankungen schnell zur Abdeckung der Einnahmeverluste eines einzigen Jahres wieder in Anspruch genommen. Da hilft es auch nichts, wenn Landesrechnungshof und Steuerzahlerbund der Kommune gute Noten für ihre Haushaltswirtschaft geben.

II.

Die Verbreiterung der kommunalen Einnahmebasis ist im Hinblick auf die steigende Aufgabenbelastung dringend geboten.

Grundsätzlich hat auch die Bundesregierung offensichtlich die besondere Problemlage der Kommunalfinanzen erkannt. Mit dem Einsetzen der Gemeindefinanzkommission sollen Lösungsmöglichkeit aufgezeigt werden, wie die grundsätzlich geschützte Selbstverwaltungsgarantieder Kommunen auch finanziell abgesichert werden kann und auf breitere Füße gestellt wird.

Schwerpunkt der Gemeindefinanzkommission ist die Diskussion, ob die Gewerbesteuer zu Gunsten einer erhöhten Beteiligung der Kommunen am Aufkommen der Einkommensteuer, der Körperschaftssteuer und der Umsatzsteuer abgeschafft werden kann. Unabhängig davon, ob die von den kommunalen Spitzenverbänden gegen die Abschaffung der Gewerbesteuer vorgebrachten Argumente, wie z. B. des Wegfalls der Interessensverknüpfung zwischen Kommunen und Gewerbebetrieben, der Problematik der Aufkommensverschiebung von Einnahmen, insbesondere im Stadtumlandverhältnis oder der mangelnden Wachstumsdynamik durchschlagend sind, ergibt sich bei dieser Diskussion eine entscheidende Problematik: Eine Abschaffung der Gewerbesteuer ohne Änderung des Grundgesetzes, wo die Gewerbesteuer beispielsweise in Artikel 106 Abs. 6 ausdrücklich genannt wird, erscheint kaum durchsetzbar.

Und da bei einem Blick auf die politische Landschaft in absehbarer Zeit die notwendigen Mehrheiten zur Änderung des Grundgesetzes in Bund und Ländern nicht erkennbar sind, steht zu befürchten, dass sich auch nach langer erneuter Diskussion in der Gemeindefinanzkommission letztlich nichts tun wird.

Dies ist jedoch für die Kommunen ein äußerst unbefriedigender Zustand.
Ich schlage deshalb vor, dass unter Beibehaltung der Gewerbesteuer zusätzlich den Kommunen das Recht eingeräumt wird, die Hebesätze für den Gemeindeanteil am Aufkommen der Einkommensteuer festsetzen zu können. Dies könnte mit einer moderaten Anhebung des kommunalen Anteils am Aufkommen der Einkommensteuer verbunden werden, die zu Lasten der Bundes- und Länderanteile an der Einkommensteuer erfolgt. Um die dadurch bei Bund und Ländern entstehenden Einnahmeausfälle abzufedern könnte sich das Instrument der Gewerbesteuerumlage eignen.

Dieser Weg hätte folgende Vorteile:

  • Eine Änderung des Grundgesetzes ist nicht erforderlich, da das Recht der Gemeinden zur Festsetzung von Hebesätzen auf den Gemeindeanteil an der Einkommensteuer bereits in Artikel 106 Absatz 5 verankert ist. Es bedarf lediglich einer einfach gesetzlichen Regelung.

  • Es ergibt sich eine Stärkung der kommunalen Selbstverwaltung, da das Aufkommen der Einkommensteuer – zumindest in bestimmten Bandbreiten – von den Kommunen verantwortlicher mitzubestimmen ist – eine Bindung zwischen Kommunalpolitik und Bürgerschaft verstärkt sich, eine Diskussion über wünschenswerte Investitionen kann im Hinblick auf die Finanzierbarkeit offensiver geführt werden – eine Verstetigung der kommunalen Einnahmebasis wäre möglich.

Die Administrierbarkeit eines solchen Verfahrens setzt die Begrenzung der Hebesätze auf z. B. vier oder fünf unterschiedliche Stufen voraus und könnte – siehe Verfahren zur Hebung der Kirchensteuer – im Zeitalter der elektronischen Datenerhebung durch die Finanzämter in den Lohnsteuerkarten ohne weiteres vermerkt werden. Die Umverteilungswirkung zwischen den Gebietskörperschaften wäre – wenn man zunächst von einer zusätzlichen Größenordnung eines kommunalen Einkommensteueranteils von ca. 10 % des bisherigen Gewerbesteueraufkommens ausgeht – überschaubar und durch entsprechende Gestaltung des Kommunalen Finanzausgleiches abzufedern. Entscheidend bei diesem Vorschlag ist insbesondere, dass die finanzielle Bindung zwischen Kommunalfinanzen und Einkommensteuer zahlender Bürgerschaft gestärkt wird und nicht nur auf Grundeigentümer und Gewerbetreibende – wie das bisher der Fall ist – beschränkt bleibt.

III.

Unabhängig von Veränderungen auf der Einnahmeseite der Kommunen bleibt eine Aufgabenkritik unvermeidlich.

Die bereits erwähnte Gemeindefinanzkommission will sich darüber hinaus der Ausgabenseite der Kommunen im Hinblick auf die Überprüfung von Standards und gesetzlichen Vorgaben widmen. Dies ist – dies zeigen frühere Vorhaben dieser Art – ein außerordentlich schwieriges Unterfangen, da Fachpolitiker unterschiedlichster Herkunft selten dazu bereit sind, einmal als richtig erkannte Standards wieder auf den Prüfstand zu stellen und im Sinne einer Kosten-/Nutzenanalyse in Frage zu stellen. Bestes Beispiel hierfür ist der Brandschutz: Die durch einzelne Brandereignisse bedingten, zum Teil unterhalb der Gesetzesebene fixierten Vorgaben und technischen Standards für notwendige Brandschutzmaßnahmen haben sich in den letzten Jahren in einem Maße verdichtet, dass Sanierungs- oder Modernisierungsmaßnahmen im vorhandenen Gebäudebestand einen immer höheren Aufwand in solche Bauteile erfordert, die ausschließlich gesteigertem Brandschutz zuzuordnen sind. Mit dem Todschlag-Argument »Abwehr von Gefahren gegen Leib und Leben« wird eine Kosten-/Nutzenanalyse nicht mehr durchgeführt und die immer knapper werdenden Investitionsmittel einseitig gebunden. Hier sind deshalb dringend neue Wege zur Abwägung dessen geboten, was im Sinne eines vorbeugenden Brandschutzes tatsächlich unabweisbar notwendig ist.

IV.

Ein weiteres Feld sind Standards und Vorhaben, die auf europäischer Ebene beschlossen werden, aber unmittelbare Wirkung für die Kommunen haben.

Bei diesen Rechtsakten ergibt sich vielfach die besondere Ausprägung, dass der Umsetzungszeitraum mit einem mehrjährigen Vorlauf verbunden ist, so dass die aktuellen Maßnahmenpakete, die von den Bundesländern an die Kommunen herangetragen werden, in der Regel auf Beschlüssen der EU basieren, die schon etliche Jahre zurückliegen.

Beispiele hierfür sind die Lärm-Vorsorgeplanung oder die Umsetzung der Wasser-Rahmenrichtlinie mit ihren vielfältigen Auflagen zur Renaturierung von Fließgewässern.

Beschlossen in Zeiten offensichtlich unbegrenzt ansteigender Finanzmittel treffen die durch Europäisches Recht bedingt neuen Aufgabenstellungen für die Kommunen jetzt auf extrem leere Kassen.

Ein praktisches Bespiel hierfür war eine Dienstbesprechung der Landräte und der Oberbürgermeister beim Regierungspräsidenten in Gießen: Als erster Tagesordnungspunkt stand das Thema »Haushaltskonsolidierung« auf dem Programm, wo der Regierungspräsident als Kommunale Aufsichtsbehörde Hinweise zu Konsolidieren und Sparen bei den Kommunen gab.

Als nächster Tagesordnungspunkt berichtete ein Mitarbeiter des Regierungspräsidiums über die Umsetzung der Wasser-Rahmrichtlinien und wies dabei darauf hin, dass zur Renaturierung von Fließgewässern in den nächsten fünf Jahren nach Maßgabe der EU geprägten Kriterien innerhalb des Regierungsbezirkes rd. 100 Mio. Euro zu investieren seien. Dass das Land sich an diesen von den Kommunen vorzunehmenden Investitionen mit Zuschüssen in einer noch nicht definierten Größenordnung beteiligen will, war für die beteiligten Landräte und Oberbürgermeister nur ein begrenzter Trost.

Das vorgenannte Beispiel verdeutlicht, dass Leistungsfähigkeit der Kommunen einerseits und Verdichtung der Aufgabenstellung andererseits nicht voneinander getrennt werden können, sondern Bund und Land in der Verantwortung stehen, dies miteinander zu verzahnen. Wenn dabei erkannt wird, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist, muss auch darüber nachgedacht werden, auf europäischer Ebene nachzuverhandeln und wünschenswerte Standards zumindest so lange noch auszusitzen, wie diese vor Ort nicht finanzierbar sind.