Offener Brief von Hans-Joachim Otto MdB an Olaf Cunitz

04.11.2010

Sehr geehrter Herr Cunitz,

gemeinsam treibt uns die Sorge um, wie Frankfurt und auch die anderen Gemeinden in Deutschland dauerhaft ihre Aufgaben finanzieren können. Die Gewerbesteuer hat für die Gemeindefinanzierung in der Vergangenheit eine wichtige, aber unzuverlässige Rolle gespielt. Der Bundesregierung und mir geht es nun darum, die Finanzkraft der Kommunen zu stärken und dauerhaft zu sichern.

Ihre Presseerklärung zu meinen Äußerungen hat mich überrascht. Es ist schon ein bemerkenswerter politischer Stil, jedem, der eine abweichende Meinung vertritt, Unkenntnis vorzuwerfen. Auch Sie können die Strukturprobleme bei der Gewerbesteuer nicht verleugnen. Wer behauptet, die Gewerbesteuer sei nicht konjunkturanfällig, streut der Öffentlichkeit Sand in die Augen. Völlig irreführend ist Ihre Meinung, die krassen Schwankungen bei den Gewerbesteuereinnahmen seien in erheblichem Maße durch Änderungen im Steuerrecht bedingt. Das Gegenteil ist der Fall. Der Einbruch zu Beginn der 2000er Jahre ist fast vollständig konjunkturbedingt. Und die Unternehmenssteuerreform 2008 hat die Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuer verbreitert, gerade um die Konjunkturabhängigkeit etwas zu mildern. Die tatsächliche Einnahmeentwicklung zeigt jedoch, dass es bei der Gewerbesteuer zu extremen, kaum planbaren Ausschlägen kommt. Zur Veranschaulichung habe ich Ihnen die entsprechenden, nüchternen Zahlen beigefügt. Der Einbruch der Einnahmen erfolgt im Konjunkturtal, also immer dann, wenn die Städte eigentlich Geld für zusätzliche Investitionen bräuchten.

Zudem verschweigen Sie, dass die Gewerbesteuer sowohl nach dem FDP-Reformmodell als auch nach den Prüfmodellen der Bunderegierung nicht nur durch die Körperschaftsteuer ersetzt werden soll. Die Gemeindefinanzen sollen auch von Änderungen bei der Einkommensteuer und der Umsatzsteuer profitieren. Letztere sind sehr robust und krisensicher.

Die Gemeindefinanzkommission unter Leitung von Wolfgang Schäuble diskutiert gegenwärtig verschiedene Modelle, um planbare und verlässliche Einnahmen für die Gemeinden zu schaffen. Sie bringen die Arbeit der Kommission in Misskredit, wenn Sie die Aufkommensneutralität als »Legende« bezeichnen. Es ist schlicht absurd, zu behaupten, die Gewerbesteuer könne nicht aufkommensneutral ersetzt werden. Genau darin besteht die Aufgabe für die Gemeindefinanzkommission: Sie prüft verschiedene Modelle, die aufkommensneutral die finanzielle Handlungsfähigkeit der Gemeinden auf dauerhaft solide Fundamente stellt. Erst wenn diese Modelle ausgearbeitet vorliegen, lässt sich deren genaue Wirkung für einzelne Städte und Gemeinden ableiten.

Die vorgebrachte Behauptung, die Unternehmen würden in Milliardenhöhe entlastet, trifft ebenfalls nicht zu: Die Beispielrechnung der Gemeindefinanzkommission kommt für eine Kapitalgesellschaft zu dem Ergebnisse, dass unter aktuell geltendem Recht die Steuerbelastung bei 29,83 Prozent liegt, während sie im Prüfmodell sogar etwas höher bei 29,91 Prozent liegt (Quelle: Anlage 2). Die Arbeit der Gemeindefinanzkommission zielt nicht auf eine Steuerentlastung für die Unternehmen. So sinnvoll Steuerentlastungen für Bürger und Unternehmen meines Erachtens auch sein mögen.

Statt sich mit dem Unkenntnis-Vorwurf einer sachlichen Debatte zu entziehen, sollten Sie die nüchternen Zahlen zu Kenntnis nehmen, die für sich und für die Notwendigkeit einer Strukturreform sprechen. Gerne können wie den Sachverhalt auch bei einem direkten Gespräch erörtern, wenn Sie daran ein Interesse haben.

Mit freundlichen Grüßen

Hans-Joachim Otto

Hintergrund
Nach Angaben des Hessischen Statistischen Landesamtes veränderten sich die Gewerbesteuereinnahmen zwischen 1995 und 2009 wie folgt:

JahrGewerbesteuer brutto in Euro
1995741.862.051
1996900.508.434
1997938.178.659
19981.202.717.777
19991.227.830.616
20001.291.411.884
2001797.148.033
2002755.588.978
2003896.578.281
20041.078.715.949
20051.095.632.433
20061.533.385.800
20071.630.195.610
20081.640.365.970
20091.109.147.124

Gewerbesteuereinnahmen brutto in Mio. Euro in Frankfurt am Main seit 1995