Kommunale Integrationspolitik
Beschluss der VLK-Bundesdelegiertenversammlung am 5. und 6. September 2008 in Ingolstadt
Seit etwa fünfzig Jahren erfährt die Bundesrepublik Deutschland eine starke Einwanderung. Doch erst seit dem Bericht der Zuwanderungskommission unter Leitung von Prof. Rita Süssmuth und dem Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetzes Anfang 2005 gilt allgemein als Konsens, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Und Ein- bzw. Zuwanderung erfordert ein beiderseitiges Bemühen um Integration. Wie weit dies jedoch gelingt bzw. gelungen ist, zeigt sich an der Lebenswirklichkeit in den Kommunen. Die Städte und Gemeinden sind der Ort, wo man die Auswirkungen erfolgreicher, aber auch misslungener Integrationsbemühungen spürt. Ob es ein positives soziales Klima gibt oder ob schlecht ausgebildete Migranten-Jugendliche kaum Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben, ob überforderte Nachbarschaften mit chaotischen Zuständen allein gelassen werden – all das entscheidet sich nicht zuletzt in den Städten, Gemeinden und Kreisen. Deshalb schlägt die Vereinigung Liberaler Kommunalpolitiker vor, dass in Ratsbeschlüssen auch eine entsprechende Willkommenskultur verankert ist.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Zusammenarbeit im Bereich Integration ist ein gemeinsames Verständnis des Begriffs Integration und die Berücksichtigung der vielfältigen Facetten, die Integration ausmachen. Integration zielt auf die Partizipation der zugewanderten Menschen am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Leben. Integration ist dabei ein dauerhafter Prozess, der auf Gegenseitigkeit zwischen den Zugewanderten und der Aufnahmegesellschaft beruht. Integration steht für die kulturelle und soziale Annäherung von Zugewanderten und der Aufnahmegesellschaft, wobei die Akzeptanz des in der Aufnahmegesellschaft geltenden Rechts, Wertekanons und der gesellschaftlichen Regeln als grundlegende Voraussetzung gilt. Unterschieden wird in der Regel zwischen der strukturellen Integration (Eingliederung in die Kerninstitutionen der Aufnahmegesellschaft), der kulturellen Integration (Spracherwerb und Werteannäherung), der sozialen Integration (Eingliederung in private und nichtöffentliche Bereiche) und der identifikatorischen Integration (Hinwendung und Zugehörigkeitsgefühl zur Aufnahmegesellschaft).
Tatsächlich ist die Integration von Zuwanderern längst zur Zukunftsfrage geworden. Sie ist bedeutend für den sozialen Zusammenhalt in den Kommunen, aber auch ein zunehmend wichtiger Wirtschaftsfaktor. Gerade vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und dem damit absehbaren Mangel an Facharbeitskräften ist die Frage entscheidend, ob es gelingt, die Potenziale von jungen Leuten mit Migrationshintergrund zu fördern, zu entwickeln und positiv zu nutzen statt zu ignorieren oder gar verfallen zu lassen. Politischer Konsens ist inzwischen, dass Sprachförderung so früh wie möglich bereits im Vorschulalter angeboten werden muss, doch auch hier zeigt sich in der Praxis noch Handlungsbedarf. Welche Bausteine werden nun benötigt, um erfolgreiche Integrationspolitik in der Kommune zu entwickeln? Ziel aller Maßnahmen muss es dabei sein, den zugewanderten Bürgerinnen und Bürgern eine gleichberechtigte Teilhabe am öffentlichen Leben zu ermöglichen und aktuelle Missstände zu beseitigen. Nur durch den Willen und das Entgegenkommen beider Seiten – der Zuwanderer und der Aufnahmegesellschaft – kann dies erreicht werden.
1. Strategie und Konzeption entwickeln
Welches sind die Ziele der Integrationspolitik in der Stadt, in der Gemeinde, im Kreis? Und wie sollen sie erreicht werden? Welche Schwerpunkte werden gesetzt? Und welche Maßnahmen sollen in welchem Zeitraum erreicht werden? Diese Fragen bilden den Orientierungsrahmen für ein Integrationskonzept, das als strategische Grundlage für eine umfassende, den jeweiligen Gegebenheiten angepasste kommunale Integrationspolitik dient.
Das Konzept deckt abstrakte und konkrete Ziele ab. Dazu zählt zunächst ein interkulturelles Leitbild, dass die langfristigen Entwicklungen wie die Folgen des demographischen Wandels oder die Zukunft als Standort im globalen Wettbewerb berücksichtigt. Das Konzept sollte durch einen Ratsbeschluss verabschiedet werden.
2. Integration als Querschnittsaufgabe verankern
Wie kann erreicht werden, dass Integrationspolitik nicht auf die Zuständigkeit Einzelner oder weniger beschränkt bleibt, sondern als wichtige Aufgabe der gesamten Kommune verankert wird? Integration ist daher als gesamtstädtische und ressortübergreifende Querschnittsaufgabe zu behandeln. Die Koordinierung sollte zentral verankert werden; z.B. als Stabsstelle beim Verwaltungschef. Wichtig ist jedoch eine klare Zuständigkeit, die für alle Beteiligten erkennbar ist.
3. Politische Verbindlichkeit herstellen
Wie kann Integrationspolitik den Stellenwert erhalten, den sie als eine entscheidende Zukunftsfrage verdient? Sie muss raus aus der Nische. Wichtig ist ein Gesamtkonzept und ein klares Bekenntnis dazu von haupt- und ehrenamtlicher Selbstverwaltung. Ein Ausländerbeirat allein mit beratendem Charakter wird der Einbindung der Menschen in die politischen Strukturen nicht gerecht; die Zuwanderer sollten über ein Vertretungsorgan mit eigener Entscheidungskompetenz verfügen.
4. Partizipation sicherstellen und bürgerschaftliches Engagement aktivieren
Wie können Menschen mit Migrationshintergrund, aber auch Bürgerinnen und Bürger der Aufnahmegesellschaft besser angesprochen und in den Integrationsprozess einbezogen werden? Dazu gehört eine breite Beteiligung aller sowie eine systematische Einbindung von Migrantenselbstorganisationen ebenso wie der offene Dialog mit der gesamten Bevölkerung. Als ein erfolgreiches Mittel hat sich die Ausbildung von Bürgern zu Integrationslotsen erwiesen, die direkte Kontakte aufbauen und auf diese Weise dazu beitragen, Hemmschwellen abzubauen.
5. Bildung und Sprache
Die Sprachkompetenz der Zuwanderer zu fördern ist eine der wichtigsten Aufgaben. Der Erwerb der Sprachkompetenz sollte bei Kindern ab dem 3. Lebensjahr begonnen werden. Neben den Kindern müssen vor allem die Eltern stärker in die Spracherziehung eingebunden werden. Diese Elternarbeit lässt sich durchführen in Kindertagesstätten und in den Schulen fortsetzen. Neben verpflichtenden Integrations- und Sprachkursen kann die Kommune durch zusätzliches Engagement stärker zu einer besseren Integration beitragen z. B. durch Integrationslotsen, Multiplikatoren oder Streitschlichtern.
6. Netzwerke aufbauen
Wie kann die Zusammenarbeit von Initiativen, Migrantenselbstorganisationen, Wohlfahrtsverbänden, Stadt, Bildungseinrichtungen, Wirtschaft, Kirche und anderen verbessert werden? Wie können Synergien genutzt und Reibungsverluste verringert werden? Die Konsultation und Einbindung aller relevanten Akteure muss ermöglicht werden. Es ist wichtig, die verschiedenen Maßnahmen zwischen Politik, Verwaltung, Zuwanderergruppen, freien Trägern und weiteren Institutionen der Zivilgesellschaft abzustimmen und zu koordinieren. Dadurch können knappe Ressourcen wesentlich effektiver und nachhaltiger eingesetzt werden. Die Verabschiedung einer Geschäftsordnung oder die Einführung von Konfliktregelungsmechanismen können hilfreich sein. Die Koordination des Netzwerkes liegt bei der Kommune.
7. Auf Stadtteilebene planen und arbeiten
Wie kann Integrationspolitik möglichst korrekt, nah an den Menschen und bedarfsorientiert entwickelt und umgesetzt werden? Neben dem umfassenden Konzept für die Kommune als Ganzes gilt es stadtteilspezifische, adressenorientierte Programme zu entwickeln. Vorteile: Präzisere Bestandsaufnahme und Analyse, um damit Maßnahmen bedarfsorientiert zu entwickeln und umzusetzen. Der Einsatz von Quartiersmanagern baut Kontakthürden ab und erweist sich besonders in sozialen Brennpunkten als sinnvoll.
8. Handlungsfelder bearbeiten: Beschäftigung und Dialog
Welche Maßnahmen und Angebote sollte die Kommune bereitstellen, um die Integration von Zuwanderern zu verbessern? Kommunen setzen sich in vielen Handlungsfeldern für die Integration ein. Dabei gilt es nicht nur einzelne Bereiche zu fördern, sondern umfassend – den lokalen
Bedürfnissen angepasst – Maßnahmen anzustoßen und aufzusetzen.
Beschäftigung. Neben Sprache gilt Arbeit als eines der wichtigsten Mittel zur Förderung von Integration. Es sollte versucht werden, ein kommunales Beschäftigungsmanagement aufzubauen, in dem alle Beteiligten zusammenarbeiten. Wichtig ist ein möglichst reibungsloser Übergang der Jugendlichen von der Schule in eine Ausbildungsstätte. Auch hierfür ist eine gute Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft, Kommune und Betroffenen notwendig.
Dialog. Mehr denn je müssen Kommunen heute einen offenen und offensiven interkulturellen und interreligiösen Dialog pflegen. In ihrer Wirkung für das Integrationsklima nicht zu unterschätzen sind neue und innovative Formen der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Berichte über Erfolge und Diskussionen über Missstände schaffen einen direkten Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern.
9. Arbeitgeber Kommune: Die interkulturelle Öffnung der Verwaltung vorantreiben
Wie können der Zuwandereranteil in der Verwaltung erhöht und die interkulturelle Kompetenz verstärkt werden? Die derzeitige finanzielle Lage der Kommunen lässt wenig Spielraum bei der Personalpolitik. Trotzdem sollten sie als Arbeitgeber eine wichtige Vorreiterrolle übernehmen. Die notwendige Personalplanung sollte Maßnahmen umfassen wie die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen für Jugendliche mit Migrationshintergrund und Fortbildungsangebote. Flankiert werden sollte alles durch Antidiskriminierungsregelungen für die Kommune.
10. Dienstleister Kommune: Zugangsbarrieren abbauen
Wie kann die Verwaltung gegenüber Zuwanderern kundenfreundlicher gestaltet werden? Den Kommunen wird empfohlen, ihre Angebote für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen und Zugangsbarrieren zu beseitigen. Neben dem Abbau sprachlicher Barrieren durch mehrsprachige Flyer, durch Übersetzer und Dolmetscherpools erweist sich auch die direkte Kontaktaufnahme im Lebensumfeld der Zuwanderer als hilfreich. Hier sind auch die Ausländerbehörden gefragt.
11. Erfolge messen: Evaluation und Controlling
Wie kann kontrolliert werden, ob die geplanten Maßnahmen umgesetzt wurden und ob die Integrationspolitik Erfolge zeigt? Ein umfassendes, auf Kennzahlen gestütztes Berichtswesen empfiehlt sich besonders in größeren Kommunen. Indikatoren im Integrationsbereich werden allgemein skeptisch betrachtet: Zum einen wird darauf verwiesen, dass qualitative Erfolge nicht immer quantitativ messbar sind; zum anderen stellt häufig der lange Zeitraum ein Problem dar, der zwischen Maßnahme (z. B. im Kindergarten) und möglichem Erfolg (z. B. beim Schulabschluss) liegt. Nachvollziehbare und überprüfbare Daten sind auch für Kommunalpolitiker eine wichtige Entscheidungsgrundlage. Projekte und Maßnahmen sollten einer regelmäßigen Evaluation unterzogen werden. Wenn dies mit Beteiligung der betroffenen Bevölkerungsgruppen geschieht, werden die Ergebnisse eher akzeptiert und die Angebote können bedarfsorientiert weiterentwickelt werden. Die Daten sollten zugänglich sein und regelmäßig veröffentlicht werden. Externe Beratung und wissenschaftliche Begleitung dienen der Nachhaltigkeit und Verifizierung der Arbeit.