Klaus-Jürgen Hoffie: In schwierigen Zeiten ist Optimismus Pflicht

28.05.2011

Rede des Alterspräsidenten und FDP-Fraktionsvorsitzenden Klaus-Jürgen Hoffie zur konstituierenden Sitzung der 9. Legislaturperiode im Kreistag Darmstadt-Dieburg am 16. Mai 2011

(Es gilt das gesprochene Wort.)

Meine Damen und Herren!

Als Helmuth Graf v. Moltke letztmals Alterspräsident im Reichstag des deutschen Kaiserreichs war, hatte er bereits das 90. Lebensjahr erreicht. Konrad Adenauer war als Alterspräsident des Deutschen Bundestags erst 89, Ludwig Erhard in gleicher Funktion 79, Willy Brandt 77, Stefan Heym war 81, ein Jahr jünger als der letzte Alterspräsident des Reichstags der Weimarer Republik.

Da es in unserem Staat keine Parlamente erster, zweiter oder dritter Ordnung gibt, erlaube ich mir, für den Kreistag vergleichsweise festzustellen: Ich bin ein junger Präsident.

Das ist ein gutes Gefühl!

Aber Jonathan Swift hat ja Recht, »kein kluger Mann hat jemals gewünscht, jünger zu sein«. Schon gar nicht als Politiker.

Übrigens: In der Schweiz leitet seit einigen Jahren nicht mehr der älteste Abgeordnete den Beginn der ersten Parlamentssitzung, sondern jener mit der längsten Mandatszeit.

Wäre das bei uns der Fall, dann müsste ich heute ebenfalls diesen Platz einnehmen nach einer – nur durch eine Legislaturperiode unterbrochene – Parlamentszugehörigkeit seit 1972.

Also: So gesehen ist es mir eine doppelte Freude und angenehme Pflicht, Herr Landrat, meine Damen und Herren Abgeordnete, verehrte Gäste und Mitarbeiter der Kreisverwaltung, Sie alle heute, am 16. Mai 2011, zur konstituierenden Sitzung der 9. Legislaturperiode des Kreistages des Landkreises Darmstadt-Dieburg in diesem schönen Sitzungssaal des Landratsamtes in Kranichstein herzlich begrüßen zu dürfen.

Ein besonderes Willkommen vor allem den 23 neu in den KT gewählten 11 Kolleginnen und 12 Kollegen, denen wir zu ihren nahezu paritätisch erworbenen Mandaten gratulieren!

Und ein besonderer Dank allen aus dem Kreistag Ausgeschiedenen, auf deren Arbeit wir aufbauen können!

Es ist das Privileg und eine gute Tradition, dass sich der Alterspräsident zu Beginn der Legislaturperiode mit einer Rede an das Parlament wendet.

Dem will ich gerne nachkommen.

Ich möchte Ihnen, meine Damen und Herren aber zunächst in Erinnerung rufen, dass rund 223 000 Bürgerinnen und Bürger unseres Landkreises bei den Kommunalwahlen am 27. März berechtigt waren, die insgesamt 71 Abgeordneten dieses Kreistags zu wählen. Jeder zweite hat von seinem Stimmrecht keinen Gebrauch gemacht, obwohl mit sieben Listen ein breites politisches Angebot zur Wahl stand.

Gleichgültigkeit entsteht, wo Bürgerverantwortung nicht mehr gesehen wird und Verdrossenheit, wo sie verweigert wird.

Dennoch gilt der Grundsatz der repräsentativen Demokratie, dass wir in unserer Gesamtheit als Kreistags-Abgeordnete alle kreisangehörigen Einwohner repräsentieren.

Das sind hier die 26 Mitglieder der SPD, die 22 Mitglieder der CDU, 15 von Bündnis 90/Die Grünen, 3 der FDP, je zwei Abgeordnete der Freien Wähler und der Partei Die Linke und erstmals ein Abgeordneter der Piraten.

Sie alle sind entsprechend der Hessischen Kommunalverfassung aufgerufen, für die nächsten fünf Jahre die sog. »wichtigen Entscheidungen« des Landkreises zu treffen und die gesamte Verwaltung und die Geschäftsführung des Kreisausschusses zu überwachen.

Es ist der Kreistag, der als oberstes Organunseres Landkreises die rechtliche und politische Verantwortung dafür trägt, wie die Geschicke des Landkreises gelenkt werden.

Und es ist der Landrat, der dann die Beschlüsse des Kreistags vollzieht.

Der wichtigste Grundsatz unseres freienMandats ist der, dass jeder von uns seine Tätigkeit nach seiner freien, nur durch die Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung ausübt und als eigenverantwortlicherAbgeordneter an Aufträge und Wünsche derWähler nicht gebunden ist. Auch nicht an dieseiner Fraktion.

Alles staatliche Handeln – auch diesesKreistages – hat die Freiheit und das Wohl unserer Bürger zum Ziel.

Dabei haben wir in unserer kommunalenVerantwortung den Vorteil, aber auch den Auftrag, unsere Aufgaben wirklich bürgernah lösenzu können und mehr Bürger für die Teilnahmean kommunalen Entscheidungsprozessen undder Gestaltung ihrer Lebensverhältnisse zu gewinnen.

Gerade der Kreistag braucht mehr öffentliche Achtung und Beachtung, um dies zu erreichen.

Auch deshalb, weil er – wie auch derLandkreis selbst – einen gesicherten Platz imBewusstsein der Öffentlichkeiten und der öffentlichen Meinung erst noch finden muss.

Hier sind auch die Medien gefordert, publizistisch mehr zu investieren.

Was wir sonst noch von den Redaktionenverlangen können, ist – wie es der Präsidentdes Verwaltungsrats der Neue Zürcher Zeitung,Konrad Hummler, kürzlich gefordert hat – »dieWelt so darzustellen, wie sie wirklich ist undnicht so, wie jemand sie gerne hätte«. Und manmöchte hinzufügen, schon gar nicht wegen einer politischen Präferenz oder Beeinflussbarkeit.

Demokratie lebt vom Wechsel und in derDemokratie wechseln Mehrheiten.

Wahlergebnisse setzten bei den Abgeordneten deshalb die Fähigkeit zum Dialog und dieBereitschaft voraus, veränderte Mehrheiten undGegebenheiten zu akzeptieren.

In diesem Sinne zunächst haben wir unsals gute Demokraten zu erweisen.

Wenn wir jetzt an die Arbeit für die begonnene Legislaturperiode gehen, dann möchteich für die Pflege demokratischer Kultur werben, für eine Politik der Verständigung und derVernunft und dafür, dass sie ermöglichet wird,ndem wir miteinander umgehen in Respekt undToleranz vor der Meinung des Anderen.

Es geht um fairen – sicher auch lebhaftenoder streitigen – Wettbewerb von Überzeugungenund Ideen im Bemühen um den besten Weg,nicht aber um den Vorteil einer Partei, einer Fraktion oder Person.

Demokratie kann man auch daran erkennen, wie die Mehrheit mit der Minderheit umgeht.

Miteinander können wir unseren Wähleraufrag sehr viel besser erfüllen, als gegeneinander,und miteinander erreichen wir mehr, als es unsViele, auch Politik(er)verdrossene, zutrauen.

Viele Menschen sind es satt, dass in derparlamentarischen Arbeit immer öfter ausgewichen wird in politischen Phrasen und Polemik, indeologien und parteiliches Taktieren oder in beiebiges Sowohl als Auch. Und dass »die da obensowieso machen, was sie wollen«, ist eine weitverbreitete Meinung zur Politik.

Aber der Staat braucht das Vertrauen seinerBürger.

Deshalb sollten wir dafür sorgen, dass sichunsere politischen Vorhaben auszeichnen durchWahrhaftigkeit, durch Glaubwürdigkeit, durchKlarheit der Sprache und der Entscheidungen.

Wenn wir gute und nachvollziehbare Ergebnisse auch im Hinblick auf ihre Folgen treffenwollen, dann ist es wichtig, dass die unterschiedlichsten Auffassungen und Ansichten vorgebracht,gegeneinander abgewogen und möglichst zusammengeführt werden.

Das setzt voraus, dass sich wirklich alleKreistagsabgeordneten vor dem Hintergrund derUnterschiedlichkeiten ihres Alters, ihres Berufs,hrer Familienund Lebenserfahrung engagiert indie Arbeit des Parlaments, seiner Ausschüsse undKommissionen einbringen.

Leidenschaft, Verantwortungsgefühl, Augenmaß, so sieht Max Weber die für Politiker entscheidenden Qualitäten.

Es ist in der Politik wie in allen anderen Lebensbereichen: Mit Herz und Seele dabei sein,das erst schafft Freude und Selbstbewusstsein.

Sich beides zu erwerben und zu bewahreniegt im Ermessen und im Vermögen aller Abgeordneten dieses Hauses und in ihrem Umgangmiteinander.

Hier, wo die Politik ihre Basis hat, sind dieunterschiedlichsten Berufe vertreten: die meisten von Ihnen sind Angestellte, kommen aus demöffentlichen Dienst oder sind Rentner.

Was die 9 Abgeordneten im Bürgermeisteramt betrifft, entspricht dies sicher nicht demSpiegel unserer pluralen Gesellschaft.

Zumindest aber die Tatsache, dass zusammengerechnet über 120 Tsd. Stimmen ganzpersönlich abgegeben und kumuliert wurdenauf den Landrat und die hauptamtlichen Kreisbeigeordneten, die erwartungsgemäß ihre Wahlin den Kreistag nicht angenommen haben, zeigt,wie dringlich eine Neuregelung bei der anstehenden Novellierung der hessischen Kommunalverfassung ist.

Es muss Schluss sein mit dieser Unsitteder Wählertäuschung und Ergebnisverzerrung.Sie betrifft übrigens alle Parteien, wo immer sieMöglichkeiten dazu haben.

Unser Kreistag – liebe Kolleginnen undKollegen – ist nicht nur politisch farbiger, er istauch um gut zwei Jahre jünger geworden. DasDurchschnittsalter beträgt jetzt 52,2 Jahre(nach 54,5 in der letzten Legislaturperiode). Der Jüngste ist der 1986 geborene SPD-Abgeordnete Matti Merker und mit ihm sind acht überhaupt erst nach Bildung dieses Kreises geboren.

Da darf man neugierig sein, denn natürlich hat gerade die junge Generation das Rechtund die Pflicht auch zu neuem Denken. JedeGeneration stellt neue Fragen, gibt neue Antworten.

Mit jetzt 28 (statt vorher 21) Frauen, alsoeinem nahezu 40prozentigen Frauenanteil istdieses Parlament aber auch weiblicher geworden.

Das ist bemerkenswert, denn 92 Jahre,nachdem die Frauen das aktive und passiveWahlrecht erhalten haben und 62 Jahre nachVerankerung des Gleichstellungsartikels durchdie Mütter des Grundgesetzes um ElisabethSelbert, hat sich der Frauenanteil seit Jahren inden Parlamenten von Bund und Ländern beietwa 30 und in den Kommunalparlamenten beidurchschnittlich nur 25 % eingepegelt.

Dass Frauen – wie hier bei uns Frau Coutandin, Frau Dr. Mannes oder Frau Sprößler – hauptamtliche Bürgermeister sind, das passiertin Deutschland nach einer Statistik aus 2008sogar nur in 4 % aller Fälle.

Dabei kann die Politik gerade von denFrauen lernen.

Bestimmt nicht nur, wenn es um notwendige Imageund Attraktivitätsgewinne in der Kommunalpolitik geht.

Umfragen zeigen nämlich, dass Kommunalpolitikerinnen schon hinsichtlich der politischen Kultur neue Maßstäbe setzen, indem sie eine zu häufige parteiliche Orientierung, persönliche Eitelkeiten und bei politischen Entscheidungen die fehlende Sachorientierung bemängeln.

Sie wünschen sich ein angenehmeres Arbeitsklima, mehr Effizienz in der Sitzungsund Redekultur, stärkere Anerkennung der kommunalpolitischen Tätigkeit und modernere, vereinbarungsfreundlichere Strukturen.

Darum sollte sich der Kreistag in seiner Gesamtheit bemühen!

Frankreich hat übrigens seinen Frauenanteil in der Politik seit 2001 mit einem »Parité-Gesetz« erhöht, indem für alle politischen Ebenen die gleiche Anzahl von Frauen und Männern auf den Wahllisten vorgeschrieben ist. In welchem Verhältnis sie dann gewählt werden, ist eine andere Frage.

Darmstadt-Dieburg aber ist auf dem besten Weg, eine wirkliche parlamentarische Parität auch ohne Quotenregelung zu schaffen.

Was bis Ende der Legislaturperiode erreicht werden soll, das haben die Parteien in ihren Wahlprogrammen dargelegt und die jetzt größer gewordene Mehrheit aus SPD und Grünen in ihrer Koalitionsvereinbarung festgeschrieben.

Vieles davon ist über Parteigrenzen hinweg gemeinsame Überzeugung. Deshalb können wir insoweit auch nur gemeinsam gewinnen oder verlieren. Also sollten wir es auch mit großer Entschlossenheit nach vorne bringen.

Weitere Investitionen in Bau und Sanierung von Schulen, gemeinsamer Schulentwicklungsplan mit der Stadt Darmstadt, Ausbau des Kreiskrankenhauses sowie Verbesserung der Infrastruktur im ÖPNV, durch Anschluss an das Hochgeschwindigkeitsnetz der DB, beim Radwegenetz oder bei der flächendeckend schnellen Breitbandversorgung sind wichtige Beispiele dafür.

Das wird nicht einfach.

Aber: »In schwierigen Zeiten ist Optimismus Pflicht«, sagt Karl Popper, der große Philosoph des 20. Jahrhunderts.

Langzeitarbeitslosigkeit, (Sozial-)Migration, Integration, demografischer Wandel, das sind Herausforderungen, denen wir uns mit Blick nach vorne gemeinsam stellen müssen.

Da bleibt dann noch genügend Raum fürThemen, bei denen sich die Fraktionen mit unterschiedlichen Auffassungen auseinandersetzen werden.

Über allen Vorhaben und Wünschenswertem aber schwebt – wie ja auch schon in derletzten Legislaturperiode – das Damoklesschwert eines allgemeinen Finanzierungsvorbehalts.

Denn auch unser Landkreis leidet mit seiner katastrophalen Verschuldung nicht nur unter den Folgen der weltweiten WirtschaftsundFinanzkrise.

Deshalb müssen wir – auch wenn sich diewirtschaftlichen und damit steuerlichen Ergebnisse weiter verbessern, noch auf längere Zeitdem öffentlichen Bereich schon auf der Ebeneder Kreise und Kommunen Grenzen setzen undverhindern, dass die Gemeinschaft den Einzelnen überfordert und der Staat letztlich selbstOpfer überzogener Ansprüche an ihn wird.

Das aber setzt die Einsicht voraus, dassunsere Demokratie dauerhaft nur zu festigenist, wenn mehr Bürger begreifen, dass dieserStaat ihr Staat ist und er nur leben kann vonder Bereitschaft, ihn zu tragen und Abschied zunehmen von dem Denken, der Staat würde alleAngelegenheiten ihres Lebens für sie regeln.

Die Folgen einer solchen Überforderungerleben wir im Desaster der Haushalts- und Wirtschaftspläne auf allen politischen Ebenen.

Wer aber will, dass die Angelegenheitenunseres Gemeinwesens nicht erstarren, werwill, dass sich unsere Bürgerinnen und Bürgerfrei entfalten, stärker und künftig auch frühereigenverantwortlich einbringen können, dermuss darüber hinaus allen Bestrebungen desBundes der Länder und zunehmend auch ausEuropa entgegentreten, die kommunale Selbstverwaltung ständig weiter einzuschränken.

Immer neues Reglementieren und dasMissachten des Subsidiaritätsund des Konnexitätsprinzips entmündigen die Fraktionen undihre Mandatsträger. So werden sie praktisch zuStatisten kommunaler Verwaltung herabgestuftohne eigenen pol. Gestaltungsraum.

Das ist frustrierend für jedwedes politisches Engagement! Es dennoch aufzubringen,das verlangt schon eine gehörige Portion Zuversicht und Stehvermögen.

Kommunale Probleme aber sind Problemedes Gesamtstaats.

Deshalb ist er jetzt aber auch gefordert.

»Die Lebensfähigkeit und Leistungsfähigkeit unserer Kommunen ist die Grundlage für die Nachhaltigkeit und Stabilität unserer freiheitlichen, demokratischen Grundordnung«, hat Bundesfinanzminister Schäuble im März vergangenen Jahres im Deutschen. Bundestag erklärt.

Ja, so ist es, aber dann müssen den Worten jetzt auch Taten folgen und endlich aufgabengerecht die Finanzbeziehungen von Bund und Ländern zu unseren kommunalen Gebietskörperschaften – und auch innerhalb dieser die Finanzquellen – neu geregelt werden.

Denn Kreise und Gemeinden müssen die Fähigkeit zurückgewinnen, ihre in eigener Verantwortung gesetzten wichtigen Ziele auch realisieren zu können.

Dazu brauchen sie größere Freiheit für Entwicklung und Gestaltung.

Mit den grundlegenden Reformen des Reichsfreiherrn vom Stein, dem bedeutendsten Staatsmann der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts, ist vor über 200 Jahren nach dem Frieden von Tilsit der preußische Staat erneuert worden, indem er die Beteiligung aller Bürger an der Mitgestaltung des Staatslebens gefordert hat.

Die Weimarer Reichsverfassung hat die kommunale Selbstverwaltung weiter demokratisiert.

Heute ist die Reform unserer Finanzverfassung die größte Herausforderung, um unsere Kreise, Städte und Gemeinden vital zu halten.

So wie im Grundgesetz festgeschrieben ist die kommunale Selbstverwaltung angesichts ihrer Finanzlage nicht mehr zu leisten. (So hat es gerade jetzt im Januar das OVG Koblenz festgestellt).

Es muss im Kontext von Finanzhoheit und autonomie gewährleistet werden, dass neben Pflichtaufgaben auch ein Mindestmaß an freiwilligen Leistungen realisierbar ist.

Das gehört zum Wesenskern des Selbstverwaltungsrechts.

Vor uns, meine Damen und Herren, liegen sicher keine leichten, aber lohnende Aufgaben.

Aber wie gesagt, »in schwierigen Zeiten ist Optimismus Pflicht«.

Lassen Sie uns deshalb mit Zuversicht an die Wirklichkeit und ihre Herausforderungen herangehen und gemeinsam an einer guten Zukunft arbeiten für unseren Landkreis und für unsere Bürger.

Herzlichen Dank!