VLK-Bundesdelegiertenversammlung fasst Beschluss zu Bundesteilhabegesetz

08.10.2016

Bundesdelegiertenversammlung der VLK 07./08. Oktober 2016, Hamburg
Beschluss Antrag Nr. 04-16

Gleiche Leistungen der Pflegeversicherung für alle Menschen mit Behinderung durchsetzen

Das Gesetz zur Reform der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (»Bundesteilhabegesetz«) und das Dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) werden derzeit von Bundestag und Bundesrat beraten und diskutiert. In diesen Gesetzen ist u.a. der Zugang von Menschen mit Behinderung zu den Leistungen der Pflegeversicherung und der Eingliederungshilfe geregelt.

Nach derzeit geltender Regelung erhalten Menschen mit Behinderung, die in der Pflegeversicherung versichert sind, unabhängig vom Grad ihrer Pflegebedürftigkeit eine Pauschale von maximal 266 € pro Monat, wenn sie in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe wohnen. Pflegebedürftige Personen, die nicht in einer solchen Einrichtung leben, erhalten jedoch je nach Grad ihrer Pflegestufe zwischen 1.064 € und 1.995 €.

Diese Regelung verstößt nach Auffassung der VLK gegen Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes, in dem es heißt: »Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.« Zu diesem Schluss kommt auch der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Felix Welti, Professor für Sozial- und Gesundheitsrecht sowie ehrenamtlicher Richter am Bundessozialgericht und am Landesverfassungsgericht Schleswig-Holstein, in einem Gutachten. Das Recht auf unabhängige Lebensführung, Einbeziehung in die Gemeinschaft und auf Gesundheit sieht Welti ebenso verletzt wie das Diskriminierungsverbot der UN-Behindertenrechtskonvention. Daher hält die VLK die bestehende Regelung für reformbedürftig.

Pflegebedürftige Bewohner einer Wohneinrichtung der Behindertenhilfe, die nicht die vollen Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, können zum Ausgleich der nicht von der Pflegeversicherung erbrachten Leistungen finanzielle Unterstützung im Rahmen der Eingliederungshilfe beantragen, sofern sie leistungsberechtigt, also dauerhaft körperlich, geistig oder seelisch wesentlich behindert oder von solcher Behinderung bedroht sind.

Die Leistungen der Eingliederungshilfe werden von den Kommunen finanziert. Damit tragen also die Kommunen und damit die Steuerzahler jene Lasten, die die Pflegeversicherungen durch die gesetzliche Ungleichbehandlung von Menschen mit Behinderung, die in Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe wohnen, und solchen, die dies nicht tun, einsparen.
In vielen Kommunen in Deutschland ist die Situation der Kommunalfinanzen erheblich angespannt. Die sogenannten Soziallasten insbesondere Eingliederungshilfe für behinderte Menschen, tragen erheblich zur finanziellen Problemlage vieler Kommunen in Deutschland bei.

Die Anzahl und der Unterstützungsbedarf der Menschen mit Behinderung sind in den letzten Jahren signifikant angestiegen. Wurden 1980 bundesweit noch 1,4 Mrd. Euro (289.744 Empfänger/- innen)für die Eingliederungshilfe verausgabt, waren es im Jahr 2014 16,3 Mrd. Euro (860.000 Empfänger/-innen). In vielen Kommunen sind die Sozialausgaben die wesentlichen Ausgabeposten.

Sollte der Gesetzentwurf zum 01.01.2017 in Kraft treten, werden die Ausgaben weiter steigen, da ab diesem Zeitpunkt zusätzlich auch Menschen mit kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz leistungsberechtigt sein werden. Experten schätzen, dass ca. 60.000 Personen von dieser Regelung betroffen sein werden und dadurch die Zahl der Leistungsberechtigten auf insgesamt ca. 140.000 Personen ansteigen wird. Darüber hinaus soll die aktuelle Gesetzeslage auf ambulante Wohngruppen ausgeweitet werden.

Diese Ausgaben drohen, die finanziellen Möglichkeiten der Kommunen auf Dauer zu übersteigen. Um jedoch auch zukünftig adäquate Hilfen für Menschen mit Behinderung gewährleisten zu können, müssen Länder und Kommunen finanziell leistungsfähig sein. Vorrangige Versicherungssysteme dürfen daher nicht aus ihrer Verantwortung genommen werden und zu Lasten der Sozialhilfeträger zahlen. Es gilt, die Kommunen zu entlasten, um dadurch die Interessen der Menschen mit Behinderung dauerhaft sicherstellen zu können.

Daher wird beschlossen:

  1. Bundestag und Bundesrat werden aufgefordert, den ungleichen Anspruch auf finanzielle Unterstützung aus der Pflegeversicherung von Menschen mit Behinderung innerhalb und außerhalb von Wohneinrichtungen der Behindertenhilfe abzuschaffen und für gleiche Ansprüche aller Menschen mit Behinderungen an die Pflegeversicherung sicherzustellen.
  2. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, für finanzielle Entlastung der Kommunen zu sorgen, damit diese eine dauerhafte und adäquate Hilfe für Menschen mit Behinderung auch in Zukunft gewährleisten kann.